Massaker von Rechnitz




Beim Massaker von Rechnitz wurden am 24. und 25. März 1945 vermutlich an die 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in der Nähe des Schlosses Rechnitz bei Rechnitz im Burgenland ermordet. Das Massaker war eines der Endphaseverbrechen kurz vor Kriegsende.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Vorgänge


  • 2 Suche nach den Opfern


  • 3 Aufarbeitung


  • 4 Gedenkstätte Kreuzstadl


  • 5 Literatur


  • 6 Weblinks


  • 7 Einzelnachweise


  • 8 Anmerkungen





Vorgänge |


In der Umgebung von Rechnitz wurden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs mit der Bahn etwa 600 Zwangsarbeiter, vor allem ungarische Juden, von Kőszeg nach Burg transportiert, um bei der Errichtung des so genannten Südostwalls Hitlers eingesetzt zu werden. Etwa 200 von ihnen, die erschöpfungs- und krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten konnten, wurden jedoch bis nach Rechnitz zurücktransportiert.[1]


In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945, den Palmsonntag, wurden 180 von ihnen von Teilnehmern eines von Margit von Batthyány, Tochter Heinrich Thyssens, abgehaltenen Schlossfestes erschossen. Das Massaker ereignete sich nur zehn Tage, bevor die Rote Armee Rechnitz erreichte.[2] Die Toten mussten von einer Gruppe von Zwangsarbeitern vergraben werden, die am Folgetag erschossen wurden.
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien im Jahre 1947 hieß es:[3]





„Die Opfer mussten zuerst – […] – ihre Überkleider ausziehen und sich an den Rand einer auf freiem Feld in der Nähe des Schlachthauses bereits ausgehobenen Grube setzen; […]; dann wurden sie erschossen, ein Teil von ihnen vielleicht auch erschlagen […]“





Hauptverantwortlich für das Massaker sollen der örtliche Gestapoführer Franz Podezin sein, der sich durch Flucht der Justiz entzog – er wurde zuletzt 1963 in Südafrika lebend gesehen –, sowie der Gutsverwalter Hans Joachim Oldenburg.[4] Insgesamt sollen zehn Personen an der Ermordung beteiligt gewesen sein.[5]


In der Nachkriegszeit wurde ein Verfahren eröffnet, das nur wenige Ergebnisse brachte.[1] Während des Verfahrens wurden zwei Zeugen ermordet; diese Fälle konnten aber nie aufgeklärt werden. Deshalb ist nicht zu beweisen, ob die Morde im Zusammenhang mit dem Massaker standen oder andere Streitigkeiten vorlagen. Die Akten der Volksgerichtsverfahren „Rechnitz I“ (Vg 2f Vr 2832/45), „Rechnitz II“ (Vg 11d Vr 190/48) und „Rechnitz III“ (Vg 8e Vr 70/54) werden heute im Wiener Stadt- und Landesarchiv aufbewahrt.



Suche nach den Opfern |


In den 1960er-Jahren wurden 18 Leichen durch Zufall gefunden, die am Grazer jüdischen Friedhof bestattet wurden.[6]


Nach den Überresten der etwa 200 ermordeten Zwangsarbeiter wird heute noch gesucht. Man vermutet den Tatort beim Kreuzstadl, heute nur noch die Ruine eines ehemaligen Gehöfts. Trotz intensiver Suche und Grabungen in den Jahren 1966 bis 1969, 1993, 2017 und 2019 konnte der Ort des Massengrabes bis heute nicht gefunden werden.[3][7][8]


Im Jahre 2006 wurde auch von angeblichen russischen Akten aus der Nachkriegszeit berichtet,[9] sowie von eventuell vorhandenen Luftaufnahmen.[10]



Aufarbeitung |


Die Geschehnisse um den Kreuzstadl und die jahrelange Suche nach dem Massengrab in Rechnitz wurden 1994 im Dokumentarfilm Totschweigen (A Wall Of Silence) von Margareta Heinrich und Eduard Erne dargestellt.[11]


Auch das am 24. März 1995 in Oberwart uraufgeführte Stück März. Der 24. des burgenländischen Autors Peter Wagner handelt vom Massaker.[12]


Die österreichische Historikerin Eva Holpfer bearbeitete den Fall 1998 in einer Diplomarbeit.[6][13][5]


Die Frankfurter Allgemeine Zeitung publizierte am 18. Oktober 2007 den Artikel „Massaker von Rechnitz“ des britischen Journalisten David R. L. Litchfield, der ein Buch über die Familie Thyssen veröffentlicht hatte.[14][15][16]


Der Historiker Wolfgang Benz äußerte Skepsis an Litchfields These, das Massaker sei zur Unterhaltung der Party-Gäste Margit von Batthyánys veranstaltet wurden,[17][18][19] die jedoch wiederum von anderer Seite verteidigt wird.[20]


Das am 28. November 2008 in den Münchner Kammerspielen uraufgeführte Theaterstück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek beschäftigt sich, unter Bezug auf den Film Der Würgeengel von Luis Buñuel, mit den Geschehnissen rund um das Massaker.[21] Das Stück erhielt am 3. Juni 2009 den Mülheimer Dramatikerpreis für das beste neue deutschsprachige Stück der Theatersaison 2008/2009.


Am 12. Dezember 2009 veröffentlichte Das Magazin unter dem Titel Ein schreckliches Geheimnis einen Artikel von Sacha Batthyany, einem Großneffen von Margit Batthyány-Thyssen. Gemäß seinen Recherchen gibt es weder Beweise noch Zeugen dafür, dass seine Großtante persönlich an der Erschießung der Juden beteiligt war; hingegen wusste sie vom Massaker, sie deckte die Täter oder verhalf ihnen zur Flucht.[22]
Aus Anlass zur 70. Wiederkehr des Massakers von Rechnitz im Jahr 2015 produzierten Timo Novotny und Alfred Weidinger den Dokumentarfilm „Árpad und Géza“.


Am 6. Februar 2016 veröffentlichte Das Magazin unter dem Titel Und was hat das mit mir zu tun? eine Korrespondenz zwischen Sacha Batthyany und einem Kollegen das Buch betreffend, das Batthyany über das Geschehene geschrieben hat. Das Buch mit dem gleichen Titel wie die publizierte Korrespondenz erschien im Februar 2016.


Regisseur Amichai Greenberg verarbeitete das Massaker im Spielfilm Das Testament (2017).[23]



Gedenkstätte Kreuzstadl |




Kreuzstadl Westseite (2009)


Um den Erhalt des Kreuzstadls als Mahnmal für alle Opfer des Südostwallbaus bemüht sich seit Anfang der 1990er-Jahre die Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S. (in Anlehnung an das lateinische Wort refugium für Zufluchtsort), die 1991 gegründet wurde.


Der Kreuzstadl konnte 1993 aufgrund einer Spendenaktion von Marietta Torberg, dem Bildhauer Karl Prantl und David Axmann angekauft und an den Bundesverband Israelitischer Kultusgemeinden übergeben werden. Die Ruine des Kreuzstadls ist als Mahnmal gestaltet worden, an dem jährlich am Palmsonntag eine Gedenkveranstaltung abgehalten wird. 2019 wurde die Feier am 24. März abgehalten. An ihr nahmen Landtagspräsidentin Verena Dunst sowie der Botschafter Ungarns Andor Nagy und die Botschafterin Israels Talya Lador-Fresher teil.


Neben dem Kreuzstadl wurde am 25. März 2012 ein Open-Air-Museum[24] eröffnet – fünf Stelen mit Videos vor einer gebogenen Wand mit Texten in Deutsch, Englisch und Ungarisch. Eine Fläche ist noch frei und soll erst gestaltet werden, wenn das Grab gefunden worden ist.[25][26]



Literatur |




  • Walter Manoschek (Hrsg.): Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945. Mit einem Text von Elfriede Jelinek: „Im Zweifelsfalle“. Braumüller, Wien 2009, ISBN 978-3-7003-1714-2, S. 1–4.
    • Rezension: Veronika Seyr: Der Fall Rechnitz. In: Zwischenwelt. Jg. 27, No. 1–2, August 2010, ISSN 1606-4321, S. 81 f.[Anm. 1]



  • Hellmut Butterweck: Das Schweigen von Rechnitz – Endphasenverbrechen. In: Hellmut Butterweck: Verurteilt und begnadigt. Österreich und seine NS-Straftäter. Czernin, Wien 2003, ISBN 3-7076-0126-9, S. 210–216.


  • Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir zu tun? Ein Verbrechen im März 1945 – die Geschichte meiner Familie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, ISBN 978-3-462-04831-5 (literarische Bearbeitung einer Familiengeschichte).[27]



Weblinks |



  • Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S.


  • Mahnmal Kreuzstadl. In: kreuzstadl.net

  • Martin Pollack: Mutmassungen über ein Verbrechen. In: NZZ. 20. Juni 2009


  • Massenmord als Partygag? In: Der Spiegel. 43/2007

  • Dominik und Ladislaus E. Batthyány: Sehr geehrte Frau Jelinek! Warum lässt Elfriede Jelinek in ihrem bei den Festwochen aufgeführten Stück »Rechnitz (Der Würgeengel)« Realität, Wahrheit und Dichtung verschwimmen? Ein gefährliches Spiel. In: Die Presse. 22. Mai 2010 (Offener Brief)

  • Sacha Batthyany: Das Grauen von Rechnitz. In: SZ-Magazin. 24. April 2010

  • F. K.: Der Mörder herrschte, die Zeugen schwiegen. Auf den Spuren der Rechnitzer Kommunazi-Feme. In: Arbeiter-Zeitung. Wien 26. Juni 1951, S. 3 (arbeiter-zeitung.at – das offene Online-Archiv – Digitalisat). 


  • Südostwall-Abschnitt Südburgenland. In: regiowiki.at



Einzelnachweise |




  1. ab Marco Schicker: Das Mordfest auf Schloß Batthyány. Erweiterte Grabungen der Uni Wien und des österreichischen Innenministeriums sollen die Gräber von rund 180 ermordeten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern im südburgenländischen Rechnitz offenlegen. In: wienerlloyd.com. Wiener Lloyd, Dezember 2006, archiviert vom Original am 14. November 2011; abgerufen am 17. Juli 2018. 


  2. Andreas Farkas: …das Vergessen und das Erinnern. Schloss Rechnitz. In: fm4.orf.at. ORF, 13. März 2008, archiviert vom Original am 19. November 2015; abgerufen am 17. Juli 2018. 


  3. ab Massengrab in Rechnitz: Geografen der Universität Wien liefern Datenbank für neue Suche. Pressemeldung. In: univie.ac.at. Universität Wien, 12. Oktober 2006, abgerufen am 17. Juli 2018 (wissenschaftliche Basis für Suche nach Massengrab in Rechnitz).


  4. Die Köchin sah die Mörder tanzen. In: FAZ.net, 26. Oktober 2007, Nr. 249, S. 46 (der Dokumentarfilmer Eduard Erne im Interview Sandra Kegel; faz.net [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  5. ab Eva Holpfer: Il massacro di Rechnitz. In: Storia e Documenti. Nr. 6, Semestrale dell´Istituto Storico della Resistenza e dell´Età Contemporanea di Parma, Numero doppio 2001, S. 205–221 (nachkriegsjustiz.at [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  6. ab Robert Misik: Dialektik des Schweigens. In: die tageszeitung. 30. Oktober 2007 (taz.de [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  7. APA red: Nach Grabungen. Rechnitzer Kreuzstadl: Keine Spur zu NS-Opfern. Bei den großflächigen Grabungen in der Nähe des Kreuzstadls in Rechnitz (Bezirk Oberwart) sind keine sterblichen Überreste der Opfer eines 1945 von Nationalsozialisten begangenen Massakers gefunden worden. In: Burgenländische Volkszeitung. 7. Dezember 2017, abgerufen am 7. Dezember 2017. 


  8. Wieder Grabungen nach NS-Opfern in Rechnitz. In: burgenland.orf.at. 6. März 2019, abgerufen am 26. März 2019. 


  9. Bringen russische Akten Licht ins Dunkel? In: Burgenländische Volkszeitung. Nr. 8, 2006 (wk2.heimat.eu [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  10. Michael Pecovicz: Hat Hobby-Historiker die Lösung gefunden? In: Burgenländische Volkszeitung. Nr. 9, 2006 (wk2.heimat.eu [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  11. Massaker von Rechnitz in der Internet Movie Database (englisch).


  12. Peter Wagner: März. Der 24. In: peterwagner.at. Peter Wagner, 28. September 2007, archiviert vom Original am 14. Oktober 2007; abgerufen am 17. Juli 2018. 


  13. Eva Holpfer: Der Umgang der Burgenländischen Nachkriegsgesellschaft mit NS-Verbrechen bis 1955. Am Beispiel der wegen der Massaker von Deutschschützen und Rechnitz geführten Volksgerichtsprozesse. Diplomarbeit am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, Prof. Dr. Emmerich Tálos, 1998 (Zusammenfassung).


  14. David R. L. Litchfield: Massaker von Rechnitz. Die Gastgeberin der Hölle. In: FAZ. 18. Oktober 2007, Nr. 242, S. 37 (faz.net [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  15. Interview mit David R. L. Litchfield. In: die tageszeitung. 8. November 2007 (taz.de [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  16. David R. L. Litchfield: The Thyssen Art Macabre. Quartet Books, London 2006, ISBN 0-7043-7119-7.


  17. Karl Pfeifer: Totschweigen. In: jungle.world. 8. November 2007, abgerufen am 17. Juli 2018.


  18. Volker Ullrich: Der Mord von Prednitz. In: Die Zeit. 44/2007.


  19. Lauter „Geraune und Hörensagen“. Benz: Judenmassaker als Partyvergnügen ist eine Erfindung. In: Deutschlandfunk. 18. Oktober 2007 (Wolfgang Benz im Interview mit Christoph Schmitz; deutschlandfunk.de [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  20. „Die ganze Geschichte noch einmal neu aufrollen.“ Simon-Wiesenthal-Zentrum Jerusalem: Judenmassaker in Rechnitz war doch ein Partyvergnügen. In: Deutschlandfunk. 19. Oktober 2007 (deutschlandfunk.de [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  21. Silvia Stammen: Erbarmungslos heiter. Grandiose künstlerische Komplizenschaft: Jossi Wieler inszeniert Elfriede Jelineks Botenstück „Rechnitz (Der Würgeengel)“. In: Die Zeit. 4. Dezember 2008 (zeit.de [abgerufen am 17. Juli 2018]).


  22. Sacha Batthyany: Ein schreckliches Geheimnis. Im österreichischen Dorf Rechnitz wurden kurz vor Kriegsende 180 Juden während eines Festes ermordet. Margit Batthyány-Thyssen, die Grosstante des Autors, war die Gastgeberin. Eine Familiengeschichte. In: dasmagazin.ch. Das Magazin, 11. Dezember 2009, archiviert vom Original am 23. November 2010; abgerufen am 17. Juli 2018. 


  23. Peter Angerer: Die versiegelte Erinnerung. In: tt.com. Tiroler Tageszeitung, 6. Juni 2018, abgerufen am 6. Juni 2018.


  24. „Open-Air-Museum“ zum Gedenken. In: burgenland.orf.at. 11. Oktober 2011, abgerufen am 12. Mai 2013.


  25. Vortrag Walter Reise, 4. April 2017, Graz-Lieben, NMS Dr. Renner, Veranstaltung: Gedenken 1945–2017.


  26. Gedenkfeier für alle Opfer des Südostwallbaus. Eröffnung des Museums Kreuzstadl. In: döw.at. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 25. März 2012, archiviert vom Original am 30. Juli 2013; abgerufen am 17. Juli 2018. 


  27. Sandra Kegel: Die mit den Mördern tanzte. In: FAZ.net. 2. April 2016, abgerufen am 17. Juli 2018 (Rezension).



Anmerkungen |




  1. Seyr hebt aus dem Buch den Gedanken hervor, dass das Massaker eine zielgerichtete Aktion im Kontext ähnlicher Endphase-Verbrechen in ganz Österreich war, deren Befehlsgeber es gelang, bis heute verdeckt zu bleiben, und deren Aufdeckung bis heute eine Aufgabe ist.


47.30483316.441872Koordinaten: 47° 18′ 17,4″ N, 16° 26′ 30,7″ O







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